Die Wohnung des frisch Geborenen ist leer, die Türen und Fenster sind offen, es ist hell und einsam.
Nach und nach wird von der Wohnung Besitz gekommen, nicht nur von dem Eigentümer, nein, alle möglichen Menschen gehen durch alle möglichen Zimmer. Es gefällt ihm nicht, daß manche Zimmer betreten werden, aus welchen Gründen auch immer, er will und braucht seinen Rückzugsort.
Der Eigentümer lernt, Türen zuzumachen. Doch nur wenige Menschen klopfen an und bitten um Einlass - viele reissen die Türen auf und gehen ungebeten rein, sehen sich um, stöbern in geheimen Ecken.
Türen werden abgesperrt.
Menschen haben Zweitschlüssel, Dietriche, Kraft - abgesperrte Türen reizen zum öffnen. Es werden Ketten vorgehängt, der Schlüssel dazu in den See geworfen.
Der Eigentümer mag manche Zimmer nicht. In andren hält er sich gern auf, sie sind hell und luftig, klar und freundlich. Vielleicht hat er ein Lieblingszimmer, eins zum Wohlfühlen, mit Lieblingsbildern an der Wand. Dort empfängt er lieben Besuch. Die auch mal ein misslungenes oder kitschiges Bild sehen dürfen.
Für andren Besuch hat er ein - oder mehrere - Besucherzimmer. Zum Repräsentieren. Dort hängen nicht die Lieblingsbilder, sondern Bilder, die was hermachen. Mit denen man beeindrucken kann.
Manche Zimmer sind dem Eigentümer egal. Sie werden nicht genutzt. Das eine oder andre abgesperrte Zimmer wird auch vergessen, um das eine oder andre Zimmer macht er weite Bögen. Er war schon so lange nicht mehr drin. Weiss nicht mehr, was sich hinter der Tür befindet.
Er weiss, daß es dort staubig, dreckig und dunkel ist. Er vermutet, daß dort Ratten, Mäuse und anderes Getier hausen. Auch Spinnen, und das ist richtig schlimm. Er versucht, sich an die Einrichtung zu erinnern, manches fällt ihm schemenhaft ein, doch er hat keine konkrete Erinnerung. Als Kind vermutete er dort Gespenster. Jetzt ist er groß, und weiß, daß es keine Gespenster gibt. Eigentlich gibt es keine Gespenster. Doch wenn es welche gibt, dann in diesem Zimmer.
Er will dieses Zimmer nicht. Es verschandelt die Wohnung, die ohne dieses Zimmer schöner wäre, das Leben in ihr wäre schöner und angenehmer, wenn es dieses Zimmer nicht gäbe. Doch da ist keine Möglichkeit, es zu entfernen. Manchmal wird er nach dem Zimmer gefragt. Die Menschen sind neugierig. Er mag das nicht. Sogar die Türe hat er von außen tapeziert, damit sie nicht auffällt. Doch manchmal strömt ein Geruch durch die Wohnung, den kann er, trotz Raumspray und Räucherstäbchen, nicht überdecken. Ein ekelhafter, fauliger Geruch. Er weiß, daß er aus dem Zimmer kommt. Manchmal wird er nach dem Geruch gefragt. Es ist ihm peinlich, er lädt seltener Leute ein.
Dummerweise liegen das Lieblingszimmer und das abgeschlossene Zimmer nebeneinander. In´s Lieblingszimmer darf nun auch kein lieber Besuch mehr, dort wird das Schlechte, Faulende zuerst wahrgenommen. Der eine oder andre Besuch hat sich gar nicht daran gestört. Sie finden es nicht so schlimm wie er, boten ihm sogar an, die Tür mit ihm zusammen aufzumachen, um mal zu putzen und die Fenster zu öffnen.
Frische Luft wäre schön.
Doch niemand darf da mit rein. Es ist zu schrecklich in dem Zimmer. Wer da einen Blick reinwerfen würde, würde die Wohnung verlassen und nie mehr wiederkommen. Da ist er sich sicher. Die lieben Besucher, sie nennen sich Freunde, nicht. Doch sie kommen seltener. Haben keine Lust, sich in dem Repräsentierzimmer aufzuhalten. Sie fühlten sich wohl im Lieblingszimmer, da wollen sie hin, wo es gemütlich und warm und schön ist.
Dem Eigentümer geht es nicht gut. Er ist allein in seiner Wohnung, räumt gar nichts mehr auf, die Wohnung verloddert. Wenn er Freunde besucht, wird er dort in´s offizielle Besucherzimmer gebeten, wo es steif und förmlich zugeht. Sie lassen ihn nicht mehr in ihre Wohlfühlzimmer.
In den Gelben Seiten findet er eine Liste von Spezialisten für das Aufräumen von Wohnungen. Er ruft schweren Herzens an. Der eine hilft ihm etwas, die Zimmer in Ordnung zu bringen, die verschlossene Tür sieht er nicht. Ein andrer sieht sie und zieht eine Brechstange aus der Tasche, der Eigentümer hat Mühe, diesen Fachmann rauszuwerfen. Viele haben erst gar keine Zeit.
Der Eigentümer zieht sich in eine Ecke seiner Wohnung zurück und bleibt erst mal dort. Verlässt die Wohnung nicht mehr, reagiert auf kein Klopfen. Er überlegt und wartet.